Einführung in die astrologischen Häuser
Die Häuser bilden zusammen mit Planeten, Zeichen und Aspekten die vier Grundbausteine der horoskopischen Astrologie. Bei der Interpretation eines Horoskops haben die Häuser traditionell zwei Aufgaben. Erstens teilen sie das Horoskop in verschiedene Lebensbereiche auf. Zweitens zeigen sie uns, wie stark die einzelnen Planeten im jeweiligen Horoskop wirken.
Das Problem dabei ist, dass es viele verschiedene Systeme gibt, wie man die Häuser berechnen kann. Und je nachdem welches Häusersystem man verwendet, kann sich die Interpretation eines Horoskops verändern. In manchen Horoskopen verändert sich kaum etwas. In anderen Fällen sind die Veränderungen fundamental.
Es drängt sich also die Frage auf, welches Häusersystem das richtige ist. Tatsächlich ist dies einer der grössten und ältesten Streitpunkte innerhalb der Astrologie. Und bei vielen Astrologen erhitzen sich die Gemüter, sobald dieses Thema angesprochen wird. Das ist auch durchaus verständlich, bedenkt man, wieviel man als Astrologe in ein bestimmtes Häusersystem investiert hat.
Zum einen identifiziert man sich sehr stark mit einer bestimmten Art und Weise, sein eigenes Geburtshoroskop zu betrachten und zu verstehen. Der Wechsel zu einem anderen Häusersystem kann zuweilen zu einer regelrechten Identitäts- oder Sinnkrise führen. Zum anderen hat man die Horoskope anderer Menschen nach einem bestimmten System analysiert und möchte sich dabei nur ungern Fehler eingestehen.
Aber wie entscheiden sich dann die Astrologen für das eine oder andere Häusersystem? Ich vermute, dass sich die meisten Astrologen gar nicht erst bewusst für ein System entscheiden, sondern einfach dasjenige Häusersystem übernehmen, welches bereits ihr Lehrer verwendet hat. Und wenn er oder sie sich doch bewusst für ein bestimmtes System entscheidet, dann wird oft dasjenige System gewählt, welches das eigene Horoskop in das günstigste Licht stellt. Wir bevorzugen ja auch die Fotos, welche uns am vorteilhaftesten abbilden.
Das darf man natürlich so machen. Aber vielleicht wäre es dennoch sinnvoller, dass man sich als Astrologe oder Astrologie Interessierter im Laufe seiner Entwicklung etwas vertieft mit diesem Thema beschäftigt und sich dann bewusst und informiert für das eine oder andere System entscheidet. Und vielleicht kann dieser Artikel einen kleinen Beitrag dazu leisten. Aber bevor ich in dieses Thema einsteige, möchte ein paar persönliche Anmerkungen vorausschicken.
Obwohl ich mich persönlich bewusst für die Ganzzeichenhäuser entschieden habe und mit ihnen die besten Resultate erziele, glaube ich nicht, dass es das einzige funktionierende System ist. *Das* perfekte System gibt es nicht. Und jedes System hat gewisse Vor- und Nachteile. Ich werde weiter unten eine Methode vorschlagen, wie du einzelne Häusersysteme und insbesondere die Ganzzeichenhäuser möglichst objektiv für dich testen kannst, um dann deine eigene Entscheidung zu fällen. Und wenn du dann zu einem anderen Schluss kommst als ich, ist das völlig ok.
Ich bin ein Befürworter von Vielfalt. Jegliche Art von Gleichschaltung und Uniformierung ist mir zuwider. Entsprechend halte ich nicht viel von der Ansicht, dass sich die Astrologie auf einen bestimmten Ansatz einigen soll. Astrologie ist eine lebendige Kunst. Und eine Kunst lebt von ihrer inneren Vielfalt und Breite. In der Malerei sagt man schliesslich auch nicht: so, und jetzt dürfen alle nur noch Blau und Gelb verwenden.
Mit dem gesagt, starten wir nun ins eigentliche Thema. Zuerst schauen wir uns kurz die Entstehung der ersten astrologischen Häuser an. Danach verschaffen wir uns einen Überblick über die drei Arten von Häusersystemen, welche wir in der westlichen Astrologie hauptsächlich antreffen. Wie unterscheiden sie sich? Und wie können wir sie historisch einordnen? Dabei werden wir sehen, dass die verschiedenen Systeme ursprünglich teils unterschiedliche Funktionen inne hatten, welche jedoch im Laufe der Zeit immer mehr miteinander vermischt wurden.
Wir werden uns überlegen, warum lange Zeit das eine und danach plötzlich ein anderes System dominant wurde. Und schliesslich schauen wir uns eine einigermassen objektive Methode an, wie du die Ganzzeichenhäuser am besten testen kannst. In diesem Beitrag werden wir uns jedoch nicht mit der Symbolik der einzelnen Häuser befassen. Dazu wird es eine separate Serie geben.
In den vergangenen 40 Jahren wurde enorm viel zum Thema der Häusersysteme geforscht und erst seit kurzem haben wir ein relativ klares Bild über deren historischen Anfänge und Entwicklung. Ich möchte hier den amerikanischen Astrologen Chris Brennan hervorheben, der diesbezüglich besonders viel geleistet hat. Dieser Artikel lehnt sich stark an seine sehr ausführlichen Vorträge, Podcasts sowie an sein Buch an. Die entsprechenden Links und Quellenangaben findest du unten.
Wie sind die astrologischen Häuser entstanden?
Im vierten Jahrhundert v.u.Z. hatte Alexander der Grosse ein gewaltiges Reich erobert, welches von Griechenland bis knapp nach Indien reichte. Und innerhalb dieses Reiches herrschte ein reger Austausch –auch von astrologischen Beobachtungen und Konzepten. Diese flossen in der ägyptischen Stadt Alexandria zusammen, die sich zu einer Art Hauptstadt der Astrologie entwickelte. Aus Mesopotamien kam das Konzept des zwölfteiligen Tierkreises, wo man die Bewegung der Planeten entlang der Ekliptik (scheinbare Umlaufbahn der Sonne um die Erde) beobachtet. Wir nennen dies auch die sekundäre Bewegung oder Rotation.
In Ägypten selbst kannte man eine andere Art der Himmelsbeobachtung, wo man die Ekliptik in 36 gleich lange Sektoren (Dekane) einteilt und sich dafür interessiert, welcher Dekan zu einem bestimmten Zeitpunkt am östlichen Horizont aufsteigt, bzw. welcher Dekan gerade am höchsten Punkt kulminiert. Anders gesagt, man interessiert sich für die primäre Bewegung, welche auf der täglichen Rotation der Erde beruht.
Spätestens im ersten Jahrhundert v.u.Z. wurden die beiden Ansätze in einer neuen Art der Astrologie miteinander vereint. Diese Astrologie wird heute hellenistische, antike oder graeco-romanische Astrologie genannt. Und sie bildet den Anfang aller horoskopischen Astrologie.
Aus der Kombination der mesopotamischen 12 Zeichen oder Sektoren und dem ägyptischen Fokus auf der primären Bewegung sowie dem im Osten aufsteigenden und dem 90° darüber liegenden kulminierenden Sektor entstand das Konzept der astrologischen Häuser.
Drei Arten von Häusersystemen
Wir können grundsätzlich drei Arten von Häusersystemen unterscheiden, welche alle bereits in der Antike bekannt waren. Vermutlich gibt es heute noch andere Systeme. Wir wollen uns hier aber auf diese drei beschränken, mit denen praktisch die ganze westliche Astrologie abgedeckt ist.
Bevor wir uns diese drei Systeme historisch anschauen wollen, müssen wir zuerst klären, wie sie jeweils berechnet werden und wie sie sich voneinander unterscheiden.
Ganzzeichenhäuser
Um das Horoskop in Ganzzeichenhäuser einteilen zu können, brauchen wir nur zu wissen, in welches Tierkreiszeichen der Aszendent fällt, bzw. welches Zeichen im Moment der Geburt am östlichen Horizont aufsteigt. Dieses Zeichen bildet dann das erste Haus. Dabei spielt es keine Rolle, wo genau der Aszendent in das Zeichen fällt. Selbst wenn der Aszendent ganz am Ende des Zeichens steht, wird trotzdem das ganze Zeichen zum ersten Haus.
Danach kann man einfach die Zeichen durchzählen und jedes Zeichen bildet dann ein Haus. Zeichen und Häuser sind also deckungsgleich. Und der Anfang jedes Zeichens bildet zugleich die Hausspitze.
Beispiel: Der Aszendent fällt irgendwo ins Zeichen Krebs. Somit wird das ganze Zeichen Krebs zum ersten Haus. Der Aszendent bildet also nicht die Spitze des ersten Hauses sondern schwebt irgendwo im ersten Haus. Jetzt können wir einfach die nachfolgenden Zeichen durchzählen. Das ganze Zeichen Löwe bildet das zweite Haus, Jungfrau das dritte Haus. usw.
Wichtig ist hier zu verstehen, dass der Punkt der Himmelsmitte (MC) irgendwo in der oberen Hälfte des Horoskops stehen kann und nicht unbedingt mit dem 10. Haus verbunden ist. Analog verhält es sich mit dem IC.
Das Ganzzeichen System ist somit das einfachste zu berechnen, denn man muss eigentlich gar nichts berechnen, sondern nur bis Zwölf zählen können. Und man benötigt weder den genauen Grad des Aszendenten noch der Himmelsmitte, um die Häuser erstellen zu können. Dies bedeutet auch, dass man etwas mehr Spielraum bei der genauen Geburtszeit hat. Nur wenn der Aszendent sehr nahe am Anfang oder Ende eines Zeichens ist, muss man etwas genauer hinschauen.
Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Für die Berechnung der Häuser an sich brauchen wir zwar keine genauen Grade von Aszendent und Himmelsmitte. Für viele hellenistische und mittelalterliche Interpretationstechniken brauchen wir sie dann halt eben dennoch.
Äqualhäuser
Die Äqualhäuser unterscheiden sich von den Ganzzeichenhäuser nur insofern, dass man hier den genauen Grad des Aszendenten kennen muss. Dieser Grad bildet dann die Spitze (= Anfang) des ersten Hauses. Danach zählt man einfach immer 30° pro Haus. Die Häuserspitzen fallen demnach immer auf den selben Grad in jedem Haus.
Beispiel: Aszendent fällt auf 17° Krebs. Dies bildet die Spitze des ersten Hauses. Alle Häuser sind jeweils 30° lang. Somit beginnt das zweite Haus bei 17° Löwe. Das dritte Haus beginnt bei 17° Jungfrau, das vierte bei 17° Waage, das fünfte bei 17° Skorpion, usw.
Bei den Äqualhäusern steht die Spitze des 10. Hauses immer genau 90° über dem Aszendenten. Aber wie bereits bei den Ganzzeichenhäusern kann auch hier der Grad des MC irgendwo in die obere Hälfte und der IC irgendwo in die untere Hälfte des Horoskops fallen –sofern man diese Punkte überhaupt berechnen will–. Man muss also auch hier unterscheiden zwischen 10. Haus und MC, bzw. zwischen 4. Haus und IC.
Dies scheint die ursprüngliche Variante der Äqualhäuser zu sein. Es gibt aber auch andere Varianten, wo man zum Beispiel anstelle des Aszendenten den genauen Grad des MC als Ausgangspunkt nimmt, um die Häuser zu berechnen.
Quadrantenhäuser
In diese Gruppe fallen die meisten Häusersysteme: Placidus, Koch, Regiomontanus, Campanus, Porphyrius, Alcabitius, etc. sind alles Varianten von Quadrantenhäusern. Um Quadrantenhäuser berechnen zu können, benötigt man sowohl den genauen Grad des Aszendenten (AS) als auch jener des MC, sowie der jeweils genau gegenüber liegenden Graden des Deszendenten (DS) und der Himmelstiefe (IC).
Diese vier Punkte bilden zwei Achsen (AS–DS und MC–IC), welche das Horoskop in vier Quadranten aufteilt. Da die beiden Achsen in der Regel nicht genau rechtwinklig zueinander stehen, fallen die Quadranten meist unterschiedlich gross aus (genauer bilden sich zwei Quadrantenpaare).
Der Aszendent bildet immer die Spitze des ersten Hauses, der MC die Spitze des 10. Hauses, der DS die Spitze des 7. Hauses und der IC die Spitze des 4. Hauses. Dies haben alle Quadrantenhäuser Systeme gemeinsam. Nun stellt sich jedoch die Frage, wie man die übrigen acht Häuserspitzen berechnen soll. Und weil man diese Frage auf unterschiedliche Arten beantworten kann, gibt es entsprechend viele Varianten von Quadrantenhäuser Systemen.
Das 10. Haus und der MC
Der vielleicht bedeutendste Unterschied zwischen den drei Häusersystemen betrifft die Himmelsmitte (MC) und die Berechnung des 10. Hauses. Wir haben gesehen, dass bei Ganzzeichen- und Äqualhäusern das 10. Haus nicht durch den Grad des MC bestimmt ist, während bei Quadrantenhäusern der MC immer auch die Spitze des 10. Hauses definiert. Das folgende Bild soll dies nochmals veranschaulichen.
Als wäre das nicht schon genügend verwirrend, wird es jetzt noch etwas komplizierter. In den alten Texten wird der Begriff „Himmelsmitte“ (MC) sowohl für das 10. Haus als auch für den genauen Grad des MC verwendet, obwohl es sich dabei um zwei verschiedene Konzepte handelt. Man muss also immer auf den Kontext achten, um zu verstehen, was konkret gemeint ist.
Historische Entwicklung
Wir finden Beschreibungen aller drei Häusersysteme in den Texten der hellenistischen Astrologen. Und diese zitieren noch ältere Texte, die leider nicht mehr überliefert sind. Somit können wir nicht genau sagen, wann die einzelnen Systeme entstanden sind. Wir können sie aber auf jeden Fall alle drei in der Antike verorten.
Die drei Systeme wurden jedoch nicht willkürlich angewendet. Sie erfüllten unterschiedliche Aufgaben. Die Astrologen arbeiteten hauptsächlich mit Ganzzeichenhäuser. Tatsächlich ist es so, dass bei der überragenden Mehrheit aller aus der Antike überlieferten Horoskopen weder der genaue Grad des Aszendenten noch derjenige des MC angegeben sind, womit einzig mit Ganzzeichenhäusern gearbeitet worden sein kann.
Die Astrologen verwendeten die Ganzzeichenhäuser einerseits, um das Horoskop in verschiedene Lebensbereiche zu unterteilen und andererseits, um die Stärke der einzelnen Planeten und der mit ihnen verbundenen Häuser beurteilen zu können. Meiner Einschätzung nach spielten die Häuser in der antiken und mittelalterlichen Astrologie eine deutlich grössere Rolle als in der modernen Astrologie, wo der Fokus mehr auf der Symbolik der Tierkreiszeichen liegt.
Äqual- und Quadrantenhäuser scheinen hingegen ausschliesslich für ganz bestimmte Techniken, wie zum Beispiel dem Berechnen der Lebenslänge, verwendet worden zu sein und vielleicht für eine noch genauere Beurteilung der planetaren Stärke. Sie wurden jedoch nicht thematisch eingesetzt, d.h. sie wurden nicht benutzt, um das Horoskop in Lebensbereiche einzuteilen.
Eine Ausnahme bildet hier möglicherweise der wichtige antike Astrologe Firmicus Maternus. In seinem monumentalen Werk Mathesis ist es nicht ganz klar, ob er bei der thematischen Interpretation Ganzzeichen- oder Äqualhäuser benutzt.
In aller Regel wurden also Ganzzeichenhäuser verwendet, um zu sehen, in welchem Lebensbereich sich die planetaren Kräfte manifestieren würden. Und manchmal verwendete man zusätzlich noch Äqual- oder Quadrantenhäuser, um die Stärke und Funktionalität der einzelnen Planeten einzuschätzen. Zudem gab es auch gewisse Zwischenlösungen, beispielsweise durch den Einbezug des MC Punktes in den Ganzzeichenhäusern.
So interpretieren wir heutigen hellenistischen Astrologen den genauen Grad des MC meistens so, dass er Themen des 10. Hauses in dasjenige Haus importiert, in welchem wir ihn vorfinden.
Beispiel: der genaue Grad des MC fällt in das 12. Haus. Somit mischen sich die Themen des 12. Hauses mit denen des 10. Hauses. Vielleicht ist die Person berühmt als Mystiker oder macht eine grosse Karriere im Bereich der Psychiatrie. Das 10. Haus bleibt dabei das 10. Haus. Aber wir haben dann gewissermassen zwei Häuser mit 10. Haus Thematik. Manche Astrologen beziehen diese Vorgehensweise im vorliegenden Beispiel auf das ganze 12. Haus, während andere nur den MC Punkt an sich (plus Orb) mit 10. Haus Themen assoziieren.
Ganzzeichenhäuser bildeten das primäre System, welches durch die ganze Antike bis ins Mittelalter hinein die Astrologie prägte. Nachdem die Astrologie durch die zunehmende Christianisierung immer stärker unter Druck geriet, verlagerte sich ihr Zentrum immer mehr in den islamischen Kulturraum. Arabische Städte wie Bagdad wurden gewissermassen zum neuen Alexandria. Im islamischen Reich wurden die Ganzzeichenhäuser offenbar bis ins 18. Jahrhundert weiter verwendet. Und in der indischen Astrologie sind sie auch heute noch das primäre Häusersystem.
Jedoch scheint im Laufe der Zeit die Praxis, Ganzzeichenhäuser mit einem der beiden anderen Häusersystemen zu kombinieren, immer mehr Verbreitung gefunden zu haben. Aber auch hier wurden die anderen Häusersysteme hauptsächlich für bestimmte Techniken verwendet und nicht zur thematischen Einteilung in Lebensbereiche.
Im christlichen Teil Europas sind die Ganzzeichenhäuser jedoch ziemlich früh zugunsten von Quadrantenhäuser verschwunden und ab dem 12. Jahrhundert in Vergessenheit geraten. Weshalb in Europa dieser Wechsel von Ganzzeichen zu Quadranten stattgefunden hat, ist nicht gänzlich geklärt.
Ein wichtiger Faktor scheint hierbei die lateinische Übersetzung eines Werkes vom äusserst einflussreichen Astrologen Abu Ma’shar (9. Jh.) gewesen zu sein. Obwohl auch Abu Ma’shar hauptsächlich mit Ganzzeichenhäusern gearbeitet hat, fand ausgerechnet derjenige Text von ihm in Europa Verbreitung, in dem er eine spezielle Technik vorstellt, für die er Quadrantenhäuser verwendet. Dass er für fast alles andere Ganzzeichen benutzte, wurde dabei nicht bemerkt.
Ein zweiter und wahrscheinlich noch wichtiger Faktor war das Werk des Claudius Ptolemäus. Ptolemäus war ein antiker Universalgelehrter und gewissermassen ein Reformer der hellenistischen Astrologie. Sein Tetrabiblos ist zweifelsfrei das einflussreichste Werk in der ganzen Astrologiegeschichte. Auch er hat wohl hauptsächlich mit Ganzzeichenhäusern horoskopiert.
Jedoch gibt es auch in seinem Text eine Passage, wo er eine bestimmte Technik vorstellt und dazu ein anderes Häusersystem verwendet. Leider drückt er sich in dieser Passage etwas unklar aus. Und über die Jahrhunderte haben sich etliche brillante Astrologen die Köpfe darüber zerbrochen, wie Ptolemäus dabei die Häuser berechnete. Viele der verschiedenen Quadrantenhäuser Systeme wie Regiomontanus und Placidus repräsentieren die Versuche späterer Astrologen, Ptolemäus zu rekonstruieren.
So ausgefeilt ihre Berechnungsmethoden auch waren, haben sie sich wahrscheinlich gleich in doppelter Hinsicht geirrt. Es scheint nämlich, dass Ptolemäus in seiner ominösen Passage gar kein Quadrantensystem, sondern vielmehr das Äqualsystem gemeint hat. Und zweitens gingen die späteren Interpreten wohl fälschlicherweise davon aus, dass das Häusersystem für die beschriebene Technik dasselbe sein muss, wie das allgemein verwendete.
Auch wenn die heutige Verwendung der Quadrantenhäuser auf einem derartigen Irrtum der Geschichte beruhen dürfte, heisst dies freilich nicht, dass sie nicht funktionieren. Westliche Astrologen haben sie vom Mittelalter bis in die Gegenwart mit guten Ergebnissen eingesetzt. Es zeigt jedoch, dass die evolutionäre Vorstellung, Quadrantenhäuser hätten die Ganzzeichenhäuser abgelöst, weil sie grundsätzlich überlegen seien, historisch ebenfalls kaum haltbar ist.
Welche Art von Quadrantensystem am populärsten war, wechselte von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort. Heute ist das Placidus System in der westlichen Astrologie sicherlich am weitesten verbreitet. Im deutschsprachigen Raum ist es vielleicht das Koch System.
Äqualhäuser machten im 20. Jahrhundert besonders in Grossbritannien ein Comeback, wo sie auch heute noch viele Anhänger finden. Die Ganzzeichenhäuser blieben jedoch weit gehend vergessen, bis sie im Rahmen der Rekonstruktion der antiken Astrologie ab den 1980er und vor allem ab den späten 1990er Jahren wiederentdeckt wurden.
Seitdem erleben sie insbesondere in den USA eine rasante Verbreitung. Nicht nur traditionelle Astrologen benutzen sie, sondern auch immer mehr moderne Astrologen stellen auf Ganzzeichenhäuser um. Laut Umfragen soll das Ganzzeichen System heute das zweit populärste Häusersystem nach Placidus sein. Und wie bereits gesagt, in Indien verwendet man ohnehin seit jeher hauptsächlich Ganzzeichenhäuser.
Ganzzeichenhäuser testen
Wenn man als Astrologe auf ein neues Häusersystem stösst, versucht man es meist damit zu testen, indem man es auf sein eigenes Geburtshoroskop anwendet. Und je nachdem, wie das eigene Geburtsbild darin erscheint, findet man das System gut oder halt nicht. Und wenn man sich danach noch nicht richtig entscheiden kann, wendet man das neuentdeckte System vielleicht noch auf die Horoskope einiger Familienmitglieder oder Freunde an, um zu sehen, was es taugt. Das Problem bei diesem Vorgehen ist, dass es enorm an Objektivität mangelt.
Wenn du die Ganzzeichenhäuser für dich testen möchtest, würde ich dir stattdessen folgende Methode vorschlagen. Erstelle dein eigenes Horoskop sowie diejenigen von dir nahe stehenden Menschen mit Ganzzeichenhäusern. Aber anstatt dich allzu sehr auf die Interpretation des Geburtsbildes zu konzentrieren, beobachte Transite in die Ganzzeichenhäuser. Es geht also nicht um Transite zu Planeten im Geburtsbild, sondern um Transite in die Ganzzeichenhäuser an sich. Du solltest deutliche Aktivierungen der jeweiligen Lebensbereiche feststellen können, sobald ein Planet das Zeichen (und somit das Haus) wechselt.
Mit dieser Methode solltest du ein ziemlich objektives Urteil fällen können, ob dich die Ganzzeichenhäuser ansprechen oder nicht. Natürlich kannst du auch andere Systeme mit dieser Methode testen. Wenn du dich noch mehr ins Thema der Häusersysteme vertiefen möchtest, kannst du dir folgende Videos und Bücher anschauen.
Quellen und weiteres Material zu den Häusern (alles auf Englisch):
- The Astrology Podcast #227: “The Origins of the House Division Debate in Ancient Astrology“ von Chris Brennan. Eine sehr ausführliche Besprechung der antiken Häusersysteme (mein eigener Artikel stützt sich stark auf diesen Vortrag ab): https://youtu.be/NVU5GCz1v90
- The Astrology Podcast #313: “House Division Calculations in Astrology Explained“. In diesem Video diskutieren Luis Ribeiro und Chris Brennan sehr anschaulich und gut verständlich die Astronomie hinter den verschiedenen Häusersystemen: https://youtu.be/6ZmqOgdxkK4
- Ausschnitt aus The Astrology Podcast #295: “Whole Sign Houses in Arabic Astrology“. Der Forscher Ali A Olomi erzählt über die Verwendung der Ganzzeichenhäuser in der arabischen Astrologie: https://youtu.be/r5sHzoNic94
- The Astrology Podcast #244: “How Did Placidus Become the Most Popular House System“. Chris Brennan und Anthony Louis diskutieren die Erfolgsgeschichte des Placidus Systems und anderer Quadrantensysteme: https://youtu.be/TlI-DcttQso
- “Hellenistic Astrology – The Study of Fate and Fortune“ von Chris Brennan, Amor Fati Publications (2017). In diesem Standardwerk zur hellenistischen Astrologie findet sich ein ausführliches Kapitel zur Entwicklung der Häusersysteme in der Antike.
- “Ancient Astrology in Theory and Practice – A Manual of Traditional Techniques, Volume Two“ von Demetra George, Rubedo Press (2022). Dieser kürzlich erschienene zweite Band von Demetra Georges monumentalem Werk widmet sich hauptsächlich der antiken Häuserlehre.
Autor: Dominik Burch
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